Die Freundin

Kurzgeschichte Geli Ammann

 

Rebekka warf ihr Handy in die Ecke. Endlose Diskussionen über WhatsApp, die zu nichts führten. Funkstille für eine Weile oder für immer, sie war sich nicht sicher.

Sie kannten sich fünf Jahre. Eine Freundschaft, die übers Internet begann. Reale Treffen gab es zwar, aber nur selten. Alexandra hatte immer knapp Zeit. Die Familie, der Ehemann warteten auf sie und Rebekka stand ein bis zwei Stunden allein am Bahnhof, in einer fremden Stadt, herum. Selbst im letzten Jahr als sie sich praktisch vor Alexandras Haustür trafen, musste sie bald nach Hause.

Telefonate gab es hin und wieder. Alexandra telefonierte nicht gern und bat Rebekka sie anzurufen. Es musst geplant werden, manchmal eine Woche vorher. Überprüfte ihr Mann die Rufnummern, kontrollierte den Zeitfaktor? Durfte er es nicht wissen?

Sie hatten sich über ein Schreibforum kennengelernt. Rebekka war eine Anfängerin, aber Alexandra konnte schreiben. Sie kamen sich näher und bald tauschten sie sich privat aus. Teilten Leid und Freude. Rebekka regte ein Treffen auf halber Strecke an. 500 Kilometer  geteilt durch zwei. Mit dem Zug ein Katzensprung. Alexandra war immer in Eile, wirkte oft gehetzt. Rebekka akzeptierte es, kannte es nicht anders, aber sie spürte Unwahrheiten, Geheimnisse. Wenn sie nachfragte, verstrickte Alexandra sich in ihren eigenen gesponnenen Fäden.

Dieses Spüren führte zu Streitigkeiten, die niemals ein Ergebnis fanden. Rebekka wusste, dass Alexandra unter einer alten Geschichte aus ihrer Kindheit litt. Sie hatte Kurzgeschichten darüber online gestellt. Rebekka bekam keine Antworten, wenn sie nachfragte oder Fragmente, mit denen sie wenig anfangen konnte. Als Alexandra ein Buch herausbrachte, das sie mit einer Freundin geschrieben hatte, brach für Rebekka eine Welt zusammen. Sie hatte es nicht gewusst, per Zufall entdeckt. Hatte Alexandra Angst vor Rebekka? Sorge, wie sie reagieren würde? Bei dieser Buchgeschichte hatte sie immer nachgefragt, aber Alexandra reagierte ausweichend.

Rebekka schämte sich. Es war erniedrigend, es von anderer Seite zu erfahren.

Es war nicht das Schreiben des Buches, das Rebekka ärgerte, sondern die Heimlichkeiten. Das Diskutieren führte zu nichts, endete mit bösen Worten. Sie hatte sich gefreut, dass ihre Freundin ein Buch schrieb. Es war kein Neid in ihr, auch wenn Alexandra ihr das unterstellte.

Alexandra war ein starker Mensch, hatte einen tollen Beruf und stand mitten im Leben. Warum zeigte sie der Freundin gegenüber Schwäche. Rebekka reagierte oft unfair, aber es tat weh, belogen zu werden, zumal es nicht endete. Alexandra hatte ihr viel geholfen, das würde sie niemals vergessen.

In Geschichten veränderte sie Namen. Ihr Mann, ihre Freunde hießen anders. Erst nach fünf Jahren erfuhr Rebekka durch Zufall den realen Vornamen des Ehemannes. Sie hatte vorgehabt Alexandra zu besuchen. Das hätte ein Desaster gegeben. Sie hatte selbst auch Familie, aber die engte nicht ein. Ihr Mann forderte nichts. Alexandra vertraute ihr nicht, selbst wenn sie Namen in der Öffentlichkeit veränderte, hätte sie nach der langen Zeit ihr gegenüber die Wahrheit sagen können. Alexandra hatte ihr, bei einem der seltenen Treffen erzählt, dass sie schon einmal in einem anderen Forum viel geschrieben hatte. Damals unter ihrem realen Namen. Es passte nicht zusammen.

Rebekka zweifelte an sich selbst, reagierte mit bösen Worten. Wie gern hätte sie mit Alexandra ein Wochenende verbracht. Das ging nicht, die Familie, der Ehemann. Dabei waren die Kinder aus dem Haus und hatten selbst Kinder.

Es gab natürlich im Leben beider Frauen andere Menschen. Alexandra hatte viele Freundschaften eingestellt, angeblich wegen Rebekka. Sie gab ihr die Schuld, sodass sie sich mies fühlte. Rebekka quälte sich, überprüfte ihr Verhalten und merkte, dass sie mit anderen Menschen meist gut auskam. Alexandra hatte ihr immer geholfen, aber hatte sie ihr gut getan? Die Summe der Kleinigkeiten, die nicht passten, wurde immer größer. Manchmal weinten beide Frauen, weil sie sich mochten, aber es trotzdem nicht funktionierte.

Rebekka hatte als Kind wenig Liebe bekommen und saugte liebe Worte auf wie ein Schwamm, der ins Wasser gelegt wird. Sie glaubte das, was man ihr erzählte und gerade im Internet war es fatal, weil es oft passend zurecht gebogen wird.

Sie verdankte Alexandra sehr viel, hatte ihr aber auch immer wieder Mut zugesprochen, denn in ihrer Vergangenheit gab es auch Unebenheiten. Es hatte sich gut angefühlt, einen Menschen zu wissen, der einen versteht. Rebekka wollte Alexandra niemals schaden, merkte aber deutlich, dass sie am Ende immer wieder die Zeche zahlen musste.

Nach einiger Zeit las Rebekka per Zufall, dass Alexandra für ein paar Tage eine Freundin im Ausland besuchte. Eine Internetbekannte, die mit ihrer eigenen Familie nichts zu tun hatte.

Wochen zogen ins Land. Es gab keinerlei Kontakt. In Rebekkas Heimatort fluteten Unwetter Straßen und Keller. Obwohl sie in einem Dörfchen wohnte, kam es in den Nachrichten. Von Alexandra hörte sie nichts. Andere fragten nach, boten Hilfe an oder standen einfach zur Seite.

Akzeptieren, dass eine Freundschaft nur einseitig war, der andere Teil dachte und fühlte völlig anders. Was wusste Rebekka von Alexandra, was war real, was evtl. Erfindung?

Man kennt einen Menschen nur so gut wie er es zulässt. Rebekka schrieb nach einigen Wochen eine Whatsapp-Nachricht, die auch beantwortet wurde. Alles ohne Tiefgang, seichtes Geplätscher an der Oberfläche. Sie wusste, dass sie innerlich einen Schlussstrich ziehen musste. Alexandra war nicht die, für die sie sie gehalten hatte.

 

ENDE Geli Ammann August 2017

 

Gehe nicht hinter mir, vielleicht führe ich nicht. Geh nicht vor mir, vielleicht folge ich nicht. Geh einfach neben mir und sei mein Freund.

Albert Camus

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