Neugierig schaute sich Fridolin um. So sah das neue Quartier aus. Mama Emma hatte Heu aufgeschichtet, das verführerisch duftete. Heute Abend würde er gern ins Bett gehen. Vater Bernward trug die kleine Schwester Mimi auf dem Arm, die verträumt am Mäusedaumen lutschte. Fridolin konnte sich gar nicht an den letzten Winter erinnern. Er war damals noch jünger als Mimi, aber er wusste, dass die Familie im Winter Wärme brauchte. So zogen sie hinter eine Fußleiste in eine Menschenwohnung. Die Eltern hatten ihn ermahnt, immer schön leise zu sein. Sie würden sowieso viel schlafen, aber Fridolin dachte gar nicht daran. Er war ein neugieriger Mäusejunge. Die Menschen waren gefährlich, sie mochten Mäuse nicht und deswegen hatten sie meist einen Kater, der mitten im Raum lag und so tat, als ob er schlief. Dabei beobachtete er alles ganz genau. So hatte es der Vater ihm erklärt. Im Sommer war alles einfacher, hier in der Winterwohnung eher langweilig. Die Fußleiste hatte ein kleines Loch und Fridolin saß dort und schaute nach draußen in eine völlig fremde Welt. Gegenüber sah er ein Fenster. Draußen fielen dicke Flocken vom Himmel. Schnee hatte die Mama ihm erklärt. Der sah schön aus, aber wer jetzt draußen herumlief, konnte leicht erfrieren. Am nächsten Morgen trank er artig seinen Kakao, zog Mimi am Schnurrbarthaar, bis sie quietschte und schaute sich Bilderbücher an.
Papa war schon früh losgezogen, um die letzten Getreidekörner, die der Schnee noch nicht bedeckt hatte, in Sicherheit zu bringen. Plötzlich hörte Fridolin Geräusche. Schnell lief er zu der Öffnung und was er sah versetzte ihn in Erstaunen. Die Menschen schleppten einen riesengroßen Baum ins Wohnzimmer. Zwei kleine Menschen standen auch im Raum und er sah, dass ihre Augen vor Freude leuchteten. Mama Emma hatte sich hinter ihn gestellt. Leise flüsterte sie:
„Das sind Kinder, du bist ein Mäusekind und das sind Menschenkinder. Eigentlich sollst du nicht immer so neugierig sein, aber wenn du ganz leise bist, darfst du noch ein Weilchen zuschauen.“ Fridolin nickte und musste schlucken. Menschenkinder – würden sie mit ihm spielen? Aber das war zu gefährlich. Er seufzte, sie waren riesig und er dagegen winzig.
Inzwischen war der Baum aufgerichtet. Es roch herrlich nach Tannengrün. Wie oft hatte er im Sommer unten diesen Bäumen gespielt und an den Zapfen geknabbert. Unter dem Baum bildete sich eine Pfütze, denn der Schnee, der auf den Zweigen lag, wurde zu Wasser. Auch das erstaunte den kleinen Mäusejungen. Gern wäre er zu dem Baum gelaufen und hätte von dem Weiß geschleckt. Papa Bernward war inzwischen nach Hause gekommen und zog ihn mit sich fort.
„Du sollst nicht so neugierig sein Fridolin“, sagte er mit ärgerlicher Stimme und zog ihn ein wenig am Mäuseohr, „wir bekommen Ärger, wenn uns die Menschen oder der Kater entdecken.“ Abends spielten die Eltern mit ihm noch ein wenig Mäusekniffel und er vergaß für ein Weilchen die Welt hinter der Fußleiste.
Am nächsten Morgen mussten die Eltern einige Dinge erledigen. Sie ermahnten Fridolin artig zu sein und ein Auge auf Mimi zu haben, die in ihrem Körbchen schlief. Es würde nicht lange dauern. Zunächst schaute er Mimi beim Schlafen zu. Sie wackelte mit den Öhrchen und machte kleine glucksende Laute mit ihrem Mund. Wenn er an ihrem Fuß kitzelte, dann zuckte sie mit dem Näschen. Obwohl sie ihn oft nervte, liebte er Emma von ganzem Herzen.
Plötzlich hörte er Geräusche und sofort rannte auf Zehenspitzen zu seinem Ausguck. Was war denn das? Der Baum sah ganz anders aus. Er leuchtete und war bunt geschmückt. So etwas hatte Fridolin noch nie gesehen. Auch roch es lecker nach süßen Schleckereien. Am Kamin gegenüber hingen dick gestrickte Socken. So hängte Mama Emma immer seine Stümpfe auf, allerdings waren sie dann frisch gewaschen und zunächst nass. Was ging hier vor? Plötzlich hörte er seine Eltern. Später würde er Mama fragen, sie war klug und konnte ihm bestimmt erklären, was die Menschen vorhatten. Frische Gurke hatten sie mitgebracht, das war ein Festschmaus für den kleinen Mäusejungen.
Vorm Einschlafen fragte er die Mutter und erzählte ihr schuldbewusst, dass er schon wieder durchs Löchlein geschaut hatte. Sie kratzte sich nachdenklich am Ohr.
„Wenn der Winter beginnt, feiern die Menschen. Sie holen sich einen Baum in die Stube und schmücken ihn festlich. Sie singen und dann gibt es Geschenke, die unter dem Baum liegen. Dieses Fest nennen sie Weihnachten. Wo die Geschenke herkommen, weiß ich allerdings auch nicht.“
Fridolin kannte die Menschen inzwischen ein wenig. Manche waren groß andere klein, auch die Haare variierten. Einige hatten sogar welche im Gesicht. Die kleinen Menschen gefielen ihm am besten. Sie waren so ähnlich wie er selber. Was die Mutter erzählte, machte ihn noch neugieriger. Schade, dass er nicht durch das Loch in die fremde Welt schlüpfen durfte.
So vergingen die Tage, draußen türmte sich der Schnee und es war bitterkalt. Der Vater kam oft mit einer roten Nase und kalten Pfoten nach Hause. Sie hatten zwar Vorräte gesammelt, aber immer wieder gab es einen frischen Leckerbissen, den er von seinen Streifzügen mitbrachte. Nachts kuschelten sie sich eng zusammen und Fridolin träumte davon, dass er mit den Menschenkindern unter dem Baum Geschenke auspackte.
Eines Nachts wurde der kleine Mäusejunge von lauten Geräuschen geweckt. Lautlos schlich er zu der kleinen Öffnung in der Fußleiste. Im Kamin rumpelte und pumpelte es. Mit weit aufgerissenen Augen sah Fridolin, wie etwas Rotes, Zotteliges auf den Boden polterte. Ein Menschenmann mit Haaren im Gesicht, die ganz lang und weiß waren stand im Zimmer. Er hatte einen großen Sack dabei. Zunächst schaute er sich um. Auf dem kleinen Tisch stand ein Becher und daneben lagen Kekse. Mit leisem Ächzen setzte sich der Rotgekleidete auf den Sessel und knabberte von dem Gebäck. Danach öffnete er den Sack und legte hübsch verpackte Päckchen in unterschiedlicher Größe unter den Baum. Auch in die Socken stopfte er einiges. Fridolin erkannte Zuckerstangen, die herrlich dufteten. Auf einmal musste er niesen.
„Hatschi“ in dieser Stille hörte sich das wie ein Donner an. Das zottelige rote Etwas drehte sich um und erschrak fürchterlich, verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber direkt vor das Mäuseloch. Dabei verlor er seine Mütze, von der Fridolin völlig begraben wurde. Stockfinster wurde es. Fridolin konnte nichts sehen, sein Herz pochte vor Angst ganz laut. Langsam hob er den Mäusekopf schob sich mit den Pfoten nach vorn und sah direkt in die Augen vom Weihnachtsmann.
„Potzblitz, wer bist du denn?“ polterte der Weihnachtsmann mit lauter Stimme. Fridolin piepste ganz leise:
„Ich bin der Mäusejunge Fridolin und wohne mit Mimi und meinen Eltern hinter der Fußleiste.“
Der Weihnachtsmann fing an zu lachen, so dass sein gewaltiger Bauch wackelte.
„Du musst vor mir keine Angst haben, ich tue dir bestimmt nichts. Komm, nimm einen Keks und beruhige dich wieder. Warte mal….“
Er wühlte in seinem großen Sack und holte ein paar Nüsse und noch andere Leckereien hervor. Dann brach er von der großen Tanne einen kleinen Zweig ab und überreichte alles dem kleinen Mäusejungen.
„Hier", sagte er, "damit kannst du dir und deiner Familie eine Freude machen, Weihnachten ist das Fest der Liebe und das gilt für Mensch und Tier. Ich bekomme nicht oft Besuch, wenn ich mit meinem Rentierschlitten durch die Luft sause und durch den Kamin krieche. Das ist oft sehr anstrengend. Ich werde langsam alt. Meine Mütze steht dir aber gut“, lachte er, diesmal aber leiser, denn er wollte niemanden aufwecken. „Du hast sicherlich schon erkannt, dass ich der Weihnachtsmann bin?“
Fridolin hatte sich wieder beruhigt und war ein wenig stolz, dass er nun wusste, wer die Geschenke unter den Baum legt. Auch gefielen ihm die Leckereien, die er bekommen hatte. Sogar eine Zuckerstange war dabei. Seine Schwester würde Augen machen, seine Eltern vielleicht schimpfen, aber letztendlich war alles gut ausgegangen.
„Weißt du was“, sagte der Weihnachtsmann, „im nächsten Jahr treffen wir uns hier wieder, und damit du mich nicht vergisst, ernenne ich dich zur Weihnachtsmaus.“
So wurde unser Fridolin eine Weihnachtsmaus. Morgen würde er alles seinen Eltern erzählen, aber jetzt war er doch ein wenig müde und musste gähnen. Als er sich umdrehte, war der Weihnachtsmann verschwunden. Hatte er das alles geträumt? Aber nein, die rote Mütze lag immer noch am Boden und das Naschwerk war auch noch da. Als er aus dem Fenster schaute, sah er einen fliegenden Schlitten mit Rentieren. Hoffentlich bekam der Weihnachtsmann keine kalten Ohren, so ganz ohne Mütze, dachte Fridolin.
Ganz hell funkelten die Sterne am Nachthimmel.
„Gute Nacht Weihnachtsmann, bis nächstes Jahr“, winkte Fridolin ihm hinterher. Dann schlüpfte er durch das kleine Mäuseloch zurück und verkroch sich im warmen Heu. Ganz eng kuschelte er sich an Mama und Papa.
GeliA/2014