Ein Thema, das mich im Moment sehr beschäftigt. Es passt vielleicht mehr in den November, aber da fragt das Schicksal niemals. Ein paar Gedanken von mir. Mit einem meiner Lieblingsgedichte von Mascha Kaleko
Memento Mascha Kaleko
Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang.
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich den Tod entlang
und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr,
und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt den eigenen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der andern muss man leben.
Als Kind war es völlig klar, wenn ich mal sterben sollte, dann komme ich in den Himmel und werde ein Engel. Ein Bild meiner Großmutter, das über ihrem Bett hing, gefiel mir damals besonders gut. Es war hinter Glas und man sah Jesus, der von pausbäckigen Engeln begleitet durch die Lüfte schwebte. Niedliche Engelchen mit kleinen Flügeln in weißen Nachthemden.
Später lehrte mich die Schule, nur wer nicht sündigt kommt in den Himmel, und die katholische Kirche setzte in meiner Erziehung noch einiges drauf.
Natürlich sehe ich das als Erwachsene inzwischen völlig anders, und ich beschäftige mich auch nicht täglich mit dem Sterben, aber die Zeilen von Mascha Kaleko machen mich nachdenklich.
Schon wenn man geboren wird, läuft die Zeit rückwärts. Man will das lange nicht wahrhaben, und oft hält man sich auch für unsterblich, doch wenn man es dann selber erlebt und fühlt, dass jemand geht, wird man nachdenklich. Gerade in unserer heutigen modernen Zeit passt das Sterben so gar nicht hinein. Alle wollen jung sein. Es werden keine Kosten und Mühen gescheut, es wird Sport getrieben und notfalls zum Skalpell gegriffen. Aber trotzdem lässt sich der Tod kein Schnippchen schlagen. Die Menschen werden zwar immer älter, aber die Krankheiten nehmen auch zu. Alt werden ist nicht immer ein Vergnügen. Wer durch Altenheime geht, weiß wovon ich rede. Ich habe jahrelang Besuchsdienste gemacht und viel Leid gesehen und gehört.
Als ich 16 Jahre alt wurde, bin ich das erste Mal mit dem Tod konfrontiert worden. Ein Schulfreund hatte sich umgebracht. Er wohnte im Nachbarhaus. Für mich damals eine schreckliche Erfahrung, mit der ich lange nicht fertig wurde. Niemand hat mit mir geredet, und ich habe viele Ängste ausgestanden. Die Tatsache, dass er nie wieder im Klassenzimmer sitzen wird, einfach fort ist, war unfassbar. Ich konnte es nicht begreifen.
Als junge Ehefrau starb dann mein Schwiegervater ganz plötzlich. Er stand mir nicht sehr nahe und deswegen hat es mir nicht so viel ausgemacht. Menschen sterben, das war mir klar und viele werden nicht so alt. An meine damals noch sehr junge Schwiegermutter habe ich gar nicht gedacht. Sie war so alt wie ich heute bin.
Erst als mein Vater tödlich verunglückte, wurde mir wieder bewusst, dass er endgültig fort ist. Ich habe mich gefragt, wo ist er jetzt? Wo ist seine Stimme, sein Lachen, sein Wissen? An den Himmel, so wie die Kirche es erzählt, glaube ich natürlich nicht. Trotzdem ist es schön, wenn man daran glauben kann. Ihn an einem angenehmen Ort zu wissen, ist tröstlich.
Bin ich traurig, weil er tot ist, oder bin ich eher egoistisch, weil er mich verlassen hat? Das habe ich mich damals immer wieder gefragt. Warum tut er mir das an? Innerlich war ich fast ein wenig ärgerlich.
Meine Freundin ist vor drei Jahren an Krebs gestorben. Für mich ist das bis heute unfassbar, da sie nur 50 Jahre alt wurde. Natürlich denke ich auch an den Ehepartner und an die Kinder, aber am Schlimmsten war für sie die Gewissheit, dass sie gehen muss und nichts machen kann. Herausgerissen wird aus einem schönen Leben. Wie sagt man so schön, sie hatte noch so viel vor. Sie hat alles geplant, so wie sie es immer getan hat.
Wie ist es nun mit dem eigenen Sterben? Schiebt man es vor sich her? Meine Schwiegermutter wird 86. Sie denkt natürlich auch an den morgigen Tag. Meine Nachbarn sind alle über 80 und pflanzen im Frühjahr ihre Blumen in den Garten, damit sie sie im Sommer blühen sehen. Keiner beschäftigt sich dauernd damit.
Mit geht es so wie im Gedicht,
vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang.
Ich sehe ihm gelassen entgegen. Ich bin weder depressiv oder schwermütig, aber für mich hat er keine Schrecken, obwohl ich – wie oben schon geschrieben – nicht an den Himmel glaube. Der Tod der Menschen, die ich liebe, der macht mir Angst
Bedenkt den eigenen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der andern muss man leben.
Genau so ist es für mich. Bleibt immer noch die Frage. Denke ich dabei an mich und mein Verlustgefühl? Suhle ich mich nicht ein wenig in Selbstmitleid?
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Allen Menschen geht es so, jeder weint und trauert, und die Schmerzen können manchmal unerträglich sein.
Trotzdem heilen Wunden, auch wenn Narben bleiben, die immer wieder aufreißen können. Ich denke heute gern an meine Freundin und an meinen Vater zurück. Erinnerungen sind wunderschön und wertvoll. Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir nach einer Trauerphase auch wieder lachen können. Ich will damit aber nicht sagen, dass das immer gelingt. Darauf will ich aber nicht näher eingehen, denn es ist ein anderes Thema.
Ich mag dieses Gedicht. Es steht oft in Todesanzeigen und wirkt dadurch traurig. Sich mit dem Thema Sterben zu beschäftigen, und es nicht zu verdrängen, ins Leben zu integrieren, ist mir inzwischen sehr wichtig geworden. Andere Kulturen haben es einfacher.
Zwei Drittel meines Lebens sind wahrscheinlich vorbei. Nach einer Durststrecke lebe ich viel bewusster, vieles ist viel leichter geworden.