Eine Kurzgeschichte - Geli Ammann

 

Langsam lege ich den Hörer auf, setzte mich ans Fenster und zündete mir eine Zigarette an. Am Horizont wird es schon hell, und ich schaue in den neuen Tag, der sich anschickt, schön und sonnig zu werden. Wir wussten alle, dass dieser Moment ins Haus steht, aber wahrhaben wollten wir ihn nicht. Es war ihr Wunsch, die letzten Stunden nur mit Jürgen und den Kindern zu verbringen. Ich habe es respektiert und schon vor ein paar Tagen Abschied genommen.

Wir kannten uns aus der Schule, haben die letzten zwei Jahre vor dem Abitur zusammen die Schulbank gedrückt. Sie, die Ruhige, ich die, die alles hinterfragte, immer vorn stand und sich manchen Ärger geholt hat. Sie dunkel und rundlich, ich schlank und blond. Zwei Gegensätze, die gut miteinander ausgekommen sind. Sie gut in Mathe, ich in Deutsch. Ihre braunen Augen blickten immer freundlich und lieb. Sie war vom Wesen her einfach herzlich und liebevoll.

Ich musste immer das letzte Wort haben, war Schulsprecher, und engagierte mich für alles. Manchmal redeten wir nächtelang über Gott und die Welt, und das war so gut. Nach dem Schulabschluss sind wir zusammen für ein paar Wochen durch Europa gereist. Ich war damals schon fest mit einem Jungen zusammen, den ich später geheiratet habe. Sie lernte ihren Mann erst in der Ausbildung kennen. Er war genauso ruhig wie sie, aber trotzdem ergänzten sie sich perfekt. Ich denke, er hat sie mehr geliebt als sie ihn. Trotzdem waren sie glücklich. Sie brauchte Sicherheit, und er konnte sie ihr geben.

Dann trennten sich unsere Wege, sie ging in eine andere Stadt, machte dort ihre Ausbildung zur Krankenschwester, und ich blieb am Ort, lernte einen Beruf, um dann später Architektur studieren zu können. Es blieb nur das Telefon, denn mailen ging damals noch nicht. Nach ihrer Ausbildung zog sie nach Süddeutschland, hat geheiratet und relativ schnell ein Kind bekommen. Aus meinen Plänen wurde leider auch nichts, denn ich bekam noch vor ihr ein Kind, war gerade mit meiner Ausbildung durch, und an ein Studium war nicht zu denken. Zwei Studenten mit Kind, das ging nicht, und so habe ich gearbeitet. Die Zeit war stressig. Arbeit, Kind, Mann, Haushalt, und unsere Freundschaft lebten wir nur wenig aus. Wir hörten kaum voneinander, schrieben uns Urlaubskarten, und telefonierten eher unregelmäßig.

Eigentlich plätscherte unser Leben gleichmäßig dahin, sie im Süden, ich im Norden. Sie bekam ein zweites Kind, fast zeitgleich mit mir, und ich entschloss mich dann noch zu einem dritten.

Der Zufall wollte es, dass ihr Mann versetzt wurde und sie nun ein Haus suchten. Irgendwie will man immer zu seinen Wurzeln zurück, und so zogen sie in den Nachbarort. Alles war anders, wir hatten Familie, die an erster Stelle stand, und trotzdem versuchten wir unsere Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Unsere Männer verstanden sich nicht, deswegen gingen wir selten zu viert aus. Sie teilte meine Liebe zur Oper, und auch die alten Sachen, wie die Insterburger, Schobert und Black, Ulrich Roski usw, mochten wir. Wir haben uns sehr für Bücher interessiert und viel gelesen.

Unsere Freundschaft wurde wieder enger, anders als zu Schulzeiten, doch spontan machten wir nichts mehr. Wir waren beide nicht berufstätig und gewöhnten uns an, einmal die Woche zu frühstücken, zu klatschen, zu lachen zu weinen. Wir hatten Stress mit den Kindern, sie mit dem Ältesten, ich mit meiner mittleren Tochter. Sie hat mir so geholfen, in der ganzen schweren Zeit, die folgte, und auf die ich jetzt nicht näher eingehe. Sie hat mich aufgefangen, wenn ich mal wieder auf den Boden knallte.

Zweimal fuhren wir zusammen in den Urlaub. Einmal eine Studienfahrt nach Husum, und dann noch einmal für eine Woche nach Dresden. Gerade diese intensive Zeit, wird mir unvergessen bleiben. Unsere Kinder wurden größer, selbständiger, und eigentlich hätten wir jetzt mehr Zeit für uns gehabt.


Dann schlug das Schicksal zu, die Diagnose Krebs. Kurz vor ihrem 50. Geburtstag. Ich habe immer gedacht, dass sie es schafft. Viele werden operiert, bekommen eine Chemo, und werden wieder gesund. Die Chemo schlug nicht an, es war ein Hoffen und Bangen und irgendwann war klar, sie schafft es nicht.

Es waren eigentlich nur wenige Monate, aber die schwersten in ihrem und auch meinem Leben. Immer wieder hatte ich Hoffnung, vermittelt,  getröstet, und in mir drin fühlte ich schon den Verlust, und die große Trauer. Fühlte diese Leere, dich mich erwarten wird. Oft ging ich in den Wald und schrie meinen Schmerz in den Wind.

Ihre Kinder waren zwar erwachsen, aber noch nicht so weit, dass sie damit umgehen konnten. Jürgen stand ihr zur Seite, aber auch er war innerlich völlig zerrissen. Ich hatte die ganzen Monate nur getröstet und Tränen getrocknet. Hoffnung vermittelt, Pläne geschmiedet und gebetet.

Ich schaue auf die Uhr, viel Zeit war vergangen. Es ist Tag geworden. Der erste Tag ohne sie. Wir werden uns wiedersehen denke ich, das kann es nicht gewesen sein.

 

 

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